Als erster schwarzer Spieler absolvierte Jackie Robinson 1947 eine Partie in der Major League Baseball. Doch erst allmählich wichen die Anfeindungen gegenüber nichtweissen Sportlern zugunsten einer wohlwollenden Akzeptanz.
Rod Ackermann
«Es ist mir schnurz, ob der Kerl gelb oder schwarz ist oder Streifen hat wie ein verdammtes Zebra», raunzte Leo Durocher, der Manager im Major-League-Baseballklub der Brooklyn Dodgers, im Frühling 1947, als sich einige seiner Spieler weigern wollten, den Rasen an der Seite des dunkelhäutigen Jackie Robinson zu betreten. «Ich bin der Teammanager, und ich sage: Er spielt.»
Die Tragweite dieser Worte erkannten damals nur die wenigsten. Ähnlich wie in der gesamten Gesellschaft der Vereinigten Staaten herrschte auch in deren Sport das ungeschriebene Gesetz der Rassentrennung zwischen Weiss und Schwarz. Seltene Ausnahmen, etwa in der Jazzmusik, bestätigten die gewohnheitsmässige Diskriminierung.
So besass im Baseball, zu jener Zeit der unumstrittene Lieblingssport der US-Amerikaner, seit dem ausgehenden 19.Jahrhundert ein dubioses Gentlemen’s Agreement eherne Gültigkeit: Schwarze waren in den Major Leagues nicht zugelassen, und es galt der Grundsatz, wonach die besten Athleten weisser Hautfarbe sind und womöglich einen angelsächsisch-protestantischen Stammbaum aufweisen. So wie Superman.
Mochte an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin der Sprinter und Weitspringer Jesse Owens mit seinen vier Goldmedaillen einer staunenden Welt vorgezeigt haben, welch Potenzial und Vitalität den Athleten dunkler Hautfarbe innewohnte, und mochte ein Jahr danach der Schwergewichtsboxer Joe Louis, «The Brown Bomber», mit dem Gewinn des Weltmeistertitels gegen den weisshäutigen James Braddock nachgedoppelt haben, so verhallte dies im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten dennoch.
Als ob nichts gewesen wäre, blieben beim «grand old game» und seinem lukrativen Major-League-Business die Weissen auch nach dem Zweiten Weltkrieg unter sich, wohingegen die ausgegrenzten Schwarzen sich in den stiefmütterlich behandelten und entsprechend schlechtbezahlten «Negro Leagues» zu tummeln hatten.
— ESPN (@espn) April 7, 2022To commemorate the 75th anniversary of Jackie Robinson breaking the MLB color barrier, ESPN is debuting Jackie 75 honoring Robinson’s lasting legacy.
White Sox’s Tim Anderson reflects on race, Robinson and being a game changer. #BlackHistoryAlways
Weitsicht und Geschäftssinn bringen Bewegung in die erstarrten Fronten
Um Bewegung in die erstarrten Fronten dieser Zweiklassengesellschaft zu bringen, war zweierlei nötig: Weitsicht und Geschäftssinn. Branch Rickey verfügte über beides. Mit dem Hintergedanken, dass noch mehr Dollars zu scheffeln wären als bisher, wenn auch dunkelhäutige Zuschauer zuhauf in die Stadien strömten, um ihresgleichen zu applaudieren, konzipierte der General Manager der Brooklyn Dodgers die «Negro Leagues». Denn längst hatte der schlaue Drahtzieher erkannt, welch verborgener Schatz an Talenten dort schlummerte.
Die Rassenschranke müsse endlich durchbrochen werden, folgerte Rickey – es ging einzig darum, den ersten und entscheidenden Schritt zu wagen. Will heissen: das bisher Undenkbare zu tun und für die blütenweissen Major Leagues einen dunkelhäutigen Spieler zu engagieren.
Der Auserwählte hatte gemäss Rickey zweierlei Kriterien zu erfüllen. Er musste sowohl über herausragende athletische Fähigkeiten verfügen als auch über einen standhaften Charakter und Einsteckvermögen sondergleichen. Denn zu erwarten hatte er Feindseligkeiten aller Art, von kühler Ablehnung bis zu offener Schmähung – seitens der Mitspieler, seitens der Klub- und Verbandsfunktionäre sowie seitens des Publikums.
Feindseligkeiten waren erst recht in den Städten des konservativen Mittleren Westens zu erwarten, aber auch im angeblich kosmopolitischen New York, der damals unumstrittenen Baseball-Hochburg, wo sich gleich drei Spitzenklubs die Vorherrschaft strittig machten: die Yankees, die Giants und die Dodgers aus dem Vorort Brooklyn. Und wo Mitbürger schwarzer Hautfarbe gefälligst in den für sie vorgesehenen Quartieren zu wohnen hatten.
Branch Rickeys Wahl fiel auf den damals bereits 28 Jahre alten, im Südstaat Georgia geborenen und in Los Angeles aufgewachsenen Jack Roosevelt «Jackie» Robinson. 180 Zentimeter gross und 92 Kilogramm schwer, hatte der vielseitig Begabte als Student in mehreren Sportarten geglänzt, später als Freiwilliger in einem US-Panzerregiment Kriegsdienst geleistet und es dort zum Unterleutnant gebracht.
Später zog es Robinson zurück zu seiner alten Liebe, dem Baseball, in dessen «Negro Leagues» er als Second Baseman der Kansas City Monarchs schon bald Erfolg hatte. Obwohl sich Robinson durch feuriges Temperament auszeichnete, hielt ihn der General Manager aus Brooklyn für belastbar, anders gesagt: für die ideale Persönlichkeit, Geschichte zu schreiben. So wurde der neue Crack denn unter grösster Geheimhaltung über einen einjährigen Umweg beim Farmteam der Montreal Royals zu den Dodgers transferiert, den Erzrivalen des Rekordmeisters New York Yankees.
Ein Apriltag im Ebbets-Field verändert den US-Sport nachhaltig
Der Tag von Robinsons Debüt im Dodgers-Jersey mit der Rückennummer 42 gilt als eines der wichtigsten Daten sowohl des Sports der Vereinigten Staaten als auch von deren Bürgerrechtsbewegung. Als ein Tag, an dem Geschichte geschrieben wurde.
Der 15.April 1947 überragt an Bedeutung auch den 26.Dezember 1908, als der Schwergewichtsboxer Jack Johnson im fernen Australien als erster Schwarzer den Weltmeistertitel aller Klassen eroberte, was in der Heimat zu Freudenausbrüchen in der schwarzen Gemeinschaft und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit weissen Mobs geführt hatte. Bezeichnend für die Denkart jener Epoche war, dass Johnsons Gegner, ein weisser Kanadier, durch polizeiliches Eingreifen vor der sicheren K.-o.-Niederlage gerettet wurde, weil auf keinen Fall zugelassen werden durfte, dass ein Schwarzer einen Weissen niederschlug.
Nichts dergleichen eine Generation später in Brooklyn. Vor 26623 zahlenden Zuschauern, gut die Hälfte von ihnen dunkler Hautfarbe, trottete im altehrwürdigen Ebbets-Field-Stadion der erste schwarze Spieler in der Major League Baseball (MLB) auf den Rasen.
Ungeachtet der Drohungen von Südstaatlern im Team, streiken zu wollen, falls Robinson tatsächlich aufgestellt werde. Und ermutigt durch die eingangs zitierten Worte des Managers Durocher. Vernommen worden waren überdies Solidaritätsbezeugungen, etwa vom Berufskollegen Hank Greenberg, der infolge seiner jüdischen Abstammung Anfeindungen aus eigenen Erfahrungen nur allzu gut kannte.
Dass die Dodgers an jenem Dienstagnachmittag den Match gegen die Boston Braves 5:3 gewannen, schien für die Tagespresse allerdings bemerkenswerter zu sein als der Umstand, dass im US-Nationalsport Baseball soeben die Rassenschranke gefallen war. Die Reporter konzentrierten sich brav auf die Match-Berichterstattung – die neue Epoche brach ohne Getöse an. Erst im Nachhinein sollte das US-amerikanische Publikum die Wichtigkeit des folgenschweren Ereignisses erkennen.
Mit den Jahren und Robinsons anhaltendem Erfolg verschwanden die Anfeindungen zugunsten einer erst zögerlichen, dann allmählich wohlwollenden Akzeptanz nichtweisser Sportler. Dabei hatte der Pionier noch viel Widerwärtiges zu erdulden. Zum Beispiel den üblen Scherz eines Konkurrenten, der eine schwarze Katze aufs Spielfeld warf und dabei rief: «Schau mal, Jackie, da ist dein Cousin.» Oder die Gepflogenheit, dass er nicht in denselben Hotels logieren oder in denselben Restaurants essen durfte wie seine weissen Klubkameraden.
Ungeachtet derartiger Affronts schaffte es Robinson mit den Brooklyn Dodgers viermal in den Meisterschaftsfinal, die World Series, und gewann diese im fünften Anlauf anno 1955. Zur lebenden Legende geworden, legte er das Schlagholz im Jahr darauf endgültig beiseite.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Anteil dunkelhäutiger Profis in den Major Leagues jenen der Schwarzen an der US-Gesamtbevölkerung – je nach Zählweise zwischen 12 und 15 Prozent – bereits überschritten. Die erdrückende Mehrheit des Publikums hatte da bereits eingesehen, was für ein Unding es gewesen war, ein Reservoir begabter Athleten ohne Grund zu ignorieren.
Doch es sollten noch viele Jahre vergehen, ehe die Untertöne des Rassismus verebbten. Als Hank Aaron, ein anderer schwarzer Baseball-Heros, sich auf die Jagd nach dem Home-Run-Rekord des abgöttisch verehrten Babe Ruth machte, wehte ihm offene Feindseligkeit entgegen. Den «Hammerin’ Hank» liess dies ungerührt. Erst stellte er die Bestmarke von 714 Home-Runs ein und verbesserte sie danach auf deren 755. Auch diese Zahl wurde später übertroffen – abermals durch einen Schwarzen, Barry Bonds (762).
Jackie Robinsons Nummer 42 wird nicht mehr vergeben
Während sich Robinson nach seiner Sportkarriere der Bürgerrechtsbewegung widmete – 1968 nahm er am denkwürdigen Marsch von Martin Luther King jr. nach Washington teil –, brachen im US-Profisport nach und nach alle Dämme. Allen voran in der National Basketball Association und der National Football League, die Schritt für Schritt zum Baseball aufschlossen, mit etwas Verspätung auch im zweideutig als «weisser Sport» umschriebenen Tennis. Den bis dahin Ausgegrenzten und Diskriminierten öffneten sich die Tore. Auf Dauer konnte dieser Entwicklung nicht einmal der Golfsport widerstehen.
Im Tennis folgten den Pionieren Althea Gibson (Wimbledon-Siegerin 1957/58), Arthur Ashe (Roland-Garros-Champion 1971) sowie den Williams-Schwestern Venus und Serena wegweisende Persönlichkeiten. Die NBA-Auswahl, die 1992 an den Olympischen Spielen von Barcelona als «Dream Team» die Welt beeindruckte, bestand zu drei Vierteln aus schwarzen Spielern, angeführt vom unvergleichlichen Michael Jordan.
Noch einen drauf setzte danach der Golf-Star Tiger Woods, Sohn eines schwarzen US-Amerikaners und einer Thailänderin. Derweil blieb Unverbesserlichen nur die verzweifelt heraufbeschworene «grosse weisse Hoffnung», im Boxen und anderswo.
For the 75th anniversary of Jackie Robinson breaking the color barrier, all players will wear a Dodger blue 42 on the backs of their jerseys on April 15th. pic.twitter.com/Vgkro1BzP3
— MLB (@MLB) April 4, 2022
Um den 1972 an den Folgen von Diabetes verstorbenen Wegbereiter dieser Entwicklung gebührend zu würdigen, wurde Jackie Robinsons Rückennummer, die 42, zuerst von den von Brooklyn nach Los Angeles umgezogenen Dodgers und 1997 zur Feier des 50.Jahrestags seiner Premiere von allen Major-League-Baseballklubs aus dem Verkehr gezogen. Seit 2004 begeht das «grand old game» jeweils am 15.April den «Jackie Robinson Day» – heuer fällt der Ehrentag auf Karfreitag.
Schade bloss, dass das Stadion, in dem Robinson an einem milden Frühlingstag die Rassenschranke durchbrach und dem in der kollektiven Erinnerung der US-Amerikaner bis heute ein besonderer Stellenwert zukommt, 1959 abgerissen wurde.
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